“Lassen sie sich nun taufen, weil sie sich einen
Vorteil in ihrem Asylverfahren erhoffen, oder weil sie durch die
Kirchengemeinde besondere Unterstützung erfahren, oder wie kommen sie dazu,
ihren Glauben zu wechseln (zu konvertieren)?

Die Menschen, die in den letzten Monaten zu uns
gekommen sind, sind weniger aus religiösen Gründen gekommen, sondern sie sind
vor Krieg und Verfolgung geflohen, um ihr Leben und ihre Existenz zu retten. Das
Thema bei Iranern, Irakern oder Afghanen, die nach Deutschland gekommen sind,
liegt anders. Denn diese Menschen sind häufig in ihrer Heimat auch religiös
verfolgt worden und haben deshalb ihr Land verlassen.


Wie will man denn überprüfen, ob die Menschen
aus überzeugung Christ werden wollen? Kann man herausfinden, ob nicht Gründe
für ein besseres Asylverfahren dahinter stecken?

Zwar mögen sich für einen Täufling,
der ein Asylverfahren durchläuft, besondere Folgen aus dem Taufakt ergeben.
Dennoch gilt grundsätzlich: Die Taufe von erwachsenen Asylsuchenden ist nichts
anderes als die Taufe eines anderen Erwachsenen.

Wie es unsere Landeskirche empfiehlt,
haben wir die Taufbewerberinnen und Taufbewerber ein halbes Jahr lang begleitet
und unterrichtet: in ihrer Hinwendung zu Christus und zum Glauben; in der
Aneignung von Glaubensinhalten und Ausdrucksformen des Glaubens; in ihrem
Wachstumsprozess im Glauben an und im Vertrauen auf Christus und darin, in der
Gemeinschaft der Gemeinde ein geistliches Zuhause zu finden.


Dazu haben die Asylbewerber
wöchentlich 90 Minuten in einem Gesprächskreis gearbeitet und je zwei
ausführliche Gespräche mit Pfarrerin Ufholz geführt.

Eine der ersten Fragen war,
wie es sich mit Gott Vater – Sohn – und Heiliger Geist verhält: “Habt
ihr drei Götter?” Sie wollten wissen, wie sie in der Bibel lesen können
und staunten, dass wir nicht einfach nur lesen, sondern uns jeder unsere
eigenen Gedanken zu den Texten machen dürfen, dass sie fragen dürfen.
Und sie verglichen natürlich immer wieder mit dem, was sie über ihren
muslimischen Glauben gelernt haben. Häufig fanden wir Parallelen.
Manchmal dachte ich schon, wenn wir auch im Koran so viele Stellen
finden, die zu einem friedlichen Miteinander und zu der Suche nach Gott
aufrufen, werden sie gar nicht mehr konvertieren wollen. Begeistert sind
sie immer wieder von der Kernbotschaft der Reformation: selbst denken!
Im Gewissen niemandem untertan: frei von Dogmatik, religiösen Vorgaben,
Glaubensinstanzen. Darüber hinaus verbinden viele mit der Taufe eine
umfassende Inkulturation, neben dem neu ergriffenen Glauben also auch
die Hoffnung auf eine neue Beheimatung, auf freiheitliche Werte, auf
eine echte Zukunftsperspektive und Akzeptanz im Zufluchtsland.

Es ist mir wichtig, auf die
Mündigkeit der einzelnen Gläubigen hinzuweisen, nach evangelischem
Verständnis werden keine detaillierten Lebensregeln vorgeschrieben, wie
es bei anderen Religionsgemeinschaften mitunter der Fall sein kann.

Müssen wir die Konsequenzen mittragen, die eine Taufe für sie und
ihre Familie im Heimatland haben könnte?

Als Kirche tragen wir alle die von konvertierten
Asylsuchenden geäußerten ängste vor einer Rückkehr in ihre Heimat mit, denn
“wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied
geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit” (1. Korinther 12,26)

Nach weit verbreiteter islamischer
Tradition ist jeder Mensch als Muslima bzw. Muslim geboren. Wer sich von
dieser Gemeinschaft trennt, hat seine Religion, seine Nation und seine
Familie und deren Ehre verraten. Nach strenger Auslegung des islamischen
Rechts steht darauf die Todesstrafe. In manchen Ländern kann auch
Inhaftierung oder sonstige staatliche Verfolgung drohen. Im Falle einer
Taufe drohen dem Getauften im Herkunftsland womöglich erhebliche
gesellschaftliche Nachteile wie Enterbung, ächtung, Verlust von
Arbeitsplatz, Verlust bürgerlicher Rechte, Zwangsscheidung. Diese
eventuellen Konsequenzen müssen mit dem Täufling auch im Hinblick auf ein
scheiterndes Asylverfahren besprochen werden. Sie leiden besonders darunter,
dass sich ihre Familie meist von ihnen lossagt.


Und welche Folgen haben die
Taufen für unsere Gemeinde?

Ja, wir müssen uns Gedanken
machen, welche neuen Aufgaben da auf uns zukommen. Wie genau sind wir
eingerichtet auf unbekannte Menschen, die im Gottesdienst oder bei
Veranstaltungen Anschluss suchen? Wer spricht sie an? Gibt es bei Kaffee und
Tee nach dem Gottesdienst die Gelegenheit, sie willkommen zu heißen und nach
ihrem Alltag zu befragen? Viele von uns haben bereits in der weiteren
Begleitung dieser Menschen eine Bereicherung für uns selbst erfahren.

Die Gemeinde ist die konkrete
Sozialgestalt des Evangeliums. Wie und zu welchen Angeboten können
taufwillige Flüchtlinge eingeladen werden? Bibel- oder Hauskreise mit ihrer
familiären Atmosphäre können hierin eine wichtige neue Aufgabe erfahren.
Darüber hinaus sind Patenschaften in der Gemeinde sinnvoll, um durch die
Begleitung während des Sonntagsgottesdienstes und durch Einladungen im
Alltag wichtige Brücken zu bauen. Kann es Angebote geben wie Erzähl-Cafés
oder biographische Werkstätten, um sich einander Lebensgeschichten zu
erzählen und gemeinsam über den christlichen Glauben nachzudenken?

Von der Pommernanlage aus fällt es ihnen
schwer
am Sonntagmorgen die
Gottesdienste zu erreichen. Auch unter der Woche ist der Besuch von
Veranstaltungen mit für sie hohen Kosten verbunden (Busfahrt 5,20 €).


Werden Flüchtlinge von Kirchengemeinden
gezielt angesprochen, sich dem christlichen Glauben zuzuwenden?

Die evangelische Kirche hält sich mit
missionarischen Tätigkeiten zurück – auch um den Dialog mit dem Islam nicht
zu belasten. Ich persönlich denke, wir sollten vorleben, dass ein
friedlichen Miteinander von Christen, Muslimen und anderen
Glaubensgemeinschaften möglich, ja sogar fruchtbar ist. Das wäre die beste
Botschaft, die von Europa in die Kriegsgebiete des Vorderen Orients gelangen
könnte. Wollen wir aber auch hier in Deutschland darauf beharren, dass es
nur den eigenen wahren, nämlich unseren, Weg zu Gott gibt, und
Andersgläubige als Ungläubige bezeichnen, die wir missionieren müssen, sind
wir nicht weit entfernt von den Glaubenskonflikten in der arabischen
Welt.

Eine Begegnung auf Augenhöhe, gegenseitiger
Respekt und die Achtung religiöser Eigenheiten kann dazu führen, dass Dialog
nicht mit Mission verwechselt wird.


(Quelle: Zum Umgang mit
Taufbegehren von Asylsuchenden


Eine Handreichung für Kirchengemeinden, herausgegeben
vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche (EKD) und der
Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF)
Hannover, im November
2013)