Grüße der Kirchengemeinden zur Einweihung der Wolfhager Moschee

Als Kirchenvorstandsvorsitzende habe ich, Ursula Muth, zusammen mit Dekan Dr. Gerlach und Pfarrerin Wittich-Jung der türkischen Gemeinde Wolfhagens zur Einweihung des türkischen Kulturzentrums im alten Wolfhager Bahnhof gratuliert und auch Grüße der katholischen Kirchengemeinde überbracht. Ich kenne den Bahnhof noch aus alten Zeiten, als ich Koffer aufgegeben oder Fahrkarten gekauft habe. Der Bahnhof war auch immer ein Ziel für meinen Mann, der vor vielen Jahren seinem kleinen Sohn die eigene Faszination von der Eisenbahn weitergab, indem er mit ihm hier manche Stunde verbracht hat. Wir haben sehr bedauert, dass der Bahnhof nach und nach verfiel. Und nun bin ich wirklich beeindruckt, was aus diesem Gebäude hier gemacht wurde. Ich freue mich, wenn dieser Bahnhof und diese ganze Ecke wieder mit Leben gefüllt werden.

Erinnerungen

Als ich noch an der Wilhelm-Filchner-Schule unterrichtete, bat ich die türkische Gemeinde mehrfach im Rahmen des Religionsunterrichts um eine Führung in ihrer Moschee in der Triangelstraße. Die Schülerinnen und Schüler waren immer sehr überrascht, dass sich in einem schlichten Fachwerkhaus eine Moschee befand und diese auch noch so liebevoll eingerichtet war. Wir haben uns immer willkommen gefühlt. Ich glaube, dass diese Begegnungen zu einem Verständnis für einander einen guten Beitrag geleistet haben. Leider musste ich auch die Erfahrung machen, dass muslimische Kinder, im Rahmen des Musikunterrichtes den Besuch unserer Kirche verweigerten, wenn ich ihnen die Orgel als Musikinstrument vorstellen wollte. Ihre Eltern würde das nicht erlauben, meinten sie.

Zunehmend strengere Religionsausübung

Wir müssen feststellen, dass Religionsausübung in den vergangenen 25-30 Jahren zunehmend strenger und „sehr konservativ“ interpretiert worden ist. Aber ein Rückzug in seine jeweilige Gemeinschaft, in der sich jeder in seinem Gedankengebäude immer nur bestätigt sieht und keine Fragen mehr stellen muss, kann nicht zu einem guten Zusammenleben in einem Ort wie Wolfhagen beitragen. Wir müssen uns öffnen und Gelegenheiten des gegenseitigen Austausches suchen.

In den letzten Jahren habe ich Begegnungen vermisst. Im Rahmen der Flüchtlingsarbeit hätte ich so etwas beispielsweise erwartet, denn da begegne ich vorwiegend islamisch geprägten Menschen. Ich fürchte, die Debatte um die Menschenrechte in der Türkei und die Terroranschläge, ja die Sorge, Muslime zu provozieren, haben zu einer Vorsicht im Umgang miteinander geführt.

Geschwister im Glauben

Wir Anhänger der monotheistischen Religionen, Juden, Christen und Muslime, sind doch davon überzeugt, dass Gott das Universum, die Kreaturen und alle Menschen geschaffen hat. Und damit sind wir aufgerufen, uns in Geschwisterlichkeit zu begegnen. Ich bin sicher, wenn man sich gegenübersteht und sich Zeit für ein Gespräch und für Interesse aneinander nimmt, sieht man nicht mehr einen Ungläubigen in seinem Gegenüber, sondern einfach den Mitmenschen, dem wir uns gern zuwenden und den wir gern unterstützen.

Religiöse Vielfalt in der BRD

Lange Zeit hatten wir in Deutschland keine reale religiöse Vielfalt. Vielmehr machten noch Mitte der sechziger Jahre Protestanten und Katholiken 95 % der bundesrepublikanischen Bevölkerung aus. Religiöse Pluralität bedeutete bis dahin kaum mehr als eine Bi-Konfessionalität. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert. Deutschland hat sich zu einem multireligiösen Staat entwickelt. Es gibt Buddhisten und Hindus, Bhagwan-Jünger und Aleviten und es gibt wieder jüdische Gemeinden. Mittlerweile leben rund 4-5 Millionen zum Teil sehr religiöse Muslime in Deutschland. Im Wachstum begriffen ist zudem die Gruppe der Konfessionslosen, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung mittlerweile bei 35 % liegt. Es ist klar, dass wachsende Vielfalt ein höheres Maß an Konfliktpotenzial mit sich bringt, die vielen einschlägigen Streitfälle der letzten Jahre legen davon ein deutliches Zeugnis ab: Kreuze in den Klassenzimmern oder Gerichtssälen, staatliche Warnungen vor sogenannten Sekten, Schächten und Kopftuch, Schwimmunterricht für muslimische Mädchen, das sind bekannte Stich- und Reizworte.

Religionsfreiheit im Grundgesetz

Glücklicherweise haben wir den Art. 4 im Grundgesetz. Dort wird „die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ gewährleistet, des weltanschaulichen Bekenntnisses! Das Gesetz geht über die reine Religionsfreiheit hinaus! Weltanschauliches Bekenntnis kann auch ein Schutz für Ungläubige sein, für Atheisten und Humanisten- und für gänzlich Gleichgültige. Dieser Pluralismus wurde schon in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 garantiert und wurde im Grundgesetz bekräftigt. Alle Religionen und Weltanschauungen genießen aufgrund der umfassenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen gleichen Schutz. Diese Religionsfreiheit ist aber kein Freibrief für die Untergrabung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, auch nicht für religiös motivierte sein. So wenig akzeptabel es ist, die Weltreligionen des Islam und des Christentums pauschal als gewaltsam oder pauschal als friedensbewahrend zu charakterisieren, so blauäugig und unverantwortlich ist es aber auch, die Existenz fundamentalistischer Strömungen und Gruppen zu bagatellisieren oder zu negieren, die den Prinzipien liberaler Verfassungsstaaten feindlich gegenüberstehen. Wir haben Beispiele erst kürzlich im Christchurch und Sri Lanka kennenlernen müssen.

Interreligiöser Dialog

Gern würde ich mit der türkischen Gemeinde ins Gespräch kommen über unsere christliche Freiheit. Wir glauben, dass Jesus gesagt hat: Du bist etwas wert, ganz egal wie andere über dich urteilen. Du darfst selbst die Bibel lesen, eigenständig denken und das ganz gleich, ob du Mann bist oder Frau. Damit stehen Christen auch für westliche Werte wie Freiheit und Gleichberechtigung. Und genau dafür werden sie gehasst von denen, die freies Denken und freies Leben nicht zulassen wollen. Christenverfolgung finden wir vor allem in autokratischen Staaten.

Ich glaube, in unserer immer unübersichtlicher werdenden Welt, in der wir nicht mehr national denken, sondern global denken lernen müssen, suchen viele Menschen einfache Identitäten und klare Unterscheidungen von richtig und falsch, von wahrem Glauben und Unglauben. Wer seine Identität so extrem reduziert, wird auf das Nachbeten einfacher Formeln gebracht und kann sich der Pluralität unserer Gesellschaft nicht mehr öffnen. Es ist fatal, dass genau in dieser unübersichtlichen Zeit das vielfältige Glaubenswissen hier bei uns in den Familien immer weniger weitergetragen wird. Viele unserer Kinder kennen keine Religion mehr, und damit geht Ihnen der Reichtum eines jahrtausendealten Erfahrungsschatzes zum Zusammenleben der Menschen verloren. Dabei haben wir mit der Aufklärung gelernt, unsere heiligen Schriften zu reflektieren, durchaus auch selbstkritisch. Wenn jetzt in den Schulen vor allem digital gelesen werden soll, wenn Schüler kaum noch mit der Hand schreiben, sondern nur noch mit Tablets unterrichtet werden, werden sie Schwierigkeiten haben, so bin ich überzeugt, einem Text Fragen zu stellen, Texte zu vergleichen und Texte wirklich tief schürfend zu verstehen. Im Gespräch mit Flüchtlingen erfahre ich, dass da auch der Islam noch eine große Aufgabe vor sich hat. Denn selber Texte zu lesen und an sie Fragen zu stellen, ist den meisten unbekannt.

Herr Karahan als Vorsitzender der türkischen Gemeinde, Herr Schaake, Herr Dr. Gerlach und auch ich – wir alle habe zu einem guten Miteinander und auch zu gemeinsamen Gesprächen aufgefordert. Ich habe die Frauen der türkischen Gemeinde direkt angesprochen und zu einem monatlichen Gesprächskreis eingeladen.

Orte der Reflexion

Es ist wichtig, dass wir Orte haben, an denen diese Reflexion stattfindet und in denen Humanität und Toleranz auch religiös verwurzelt werden. Das können religiöse Zentren sein wie dieses hier, unsere Kirchen und Moscheen, unsere Gemeindehäuser, aber auch unsere Schulen. Deshalb hoffe ich, dass der bewährte Religionsunterricht mit Religionslehrern, die ein Universitäten studiert haben, weiter eine Zukunft haben wird. Toleranz und Nächstenliebe müssen von klein auf regelmäßig vermittelt werden, das muss zur Sozialisation unserer Kinder gehören!

Das Miteinander verschiedener Religionen bietet die großartige Chance, andere Möglichkeiten des Verstehens und der Lebensgestaltung kennen zu lernen und jeden von uns auf der Suche nach dem wahren Leben weiter zu bringen. Und so appelliere ich an Sie, an uns alle, lassen Sie uns regelmäßig zusammenkommen und uns austauschen über das, was uns beschäftigt und das, was uns wichtig ist.