HNA-Schlagzeikle vom August 1971



Von mir aus wird
weitergebimmelt
Das Läuten und die Hast des
Straßenverkehrs

Im „Sommerloch“ des
Jahres 1971 stand die Turmuhr der Evangelischen Stadtkirche im Mittelpunkt des
medialen Interesses. Die HNA wartete mit dieser Schlagzeile auf. Grund war, dass
eine Dozentin der Universität Gießen als übernachtungsgast im Ratskeller von
einer »vermeidbaren Lärmbelästigung« gesprochen hatte, der damalige Gastwirt des
Ratskellers, Werner Kühne, von einer »Zumutung für die Gäste«.

Und schon war die HNA auf dem Plan.
Bürgermeister Oswald Schröder nannte es einen »bedauerlichen Umstand«, dass
genau 361 Glockenschläge einschließlich des Morgengeläuts von 23 Uhr am Abend
bis 7 Uhr am Morgen erklingen. Wiedeholt hätten sich seine Hotelgäste beschwert,
die vor allem wegen des Schlagens der Turmuhr keinen Schlaf finden, meinte
Werner Kühne.


Viele Gäste
zurückgeschreckt

Schon mehrfach hatte der Gastronom
des »Ratskeller« versucht, durch Eingaben und Anträge bei der Stadt zu
erreichen, dass das durchdringende Schlagen der Turmuhr abgestellt oder
wenigstens eingeschränkt wird. Doch vergebens. »Meine Dauergäste gewöhnen sich
meistens nach einer Woche an die Turmuhr. Viele Reisende bleiben jedoch nur für
eine Nacht. Sie finden keine Ruhe. Im Laufe der Jahre sind viele Gäste davor
zurückgeschreckt, nochmals zu uns zu kommen«, erklärte Kühne gegenüber der HNA.
Kühne gab seinerzeit trotzdem die Hoffnung nicht auf, »dass eine Regelung im
Guten erzielt werden kann und der Klageweg nicht beschritten werden
muss.«

Bereits 1967 hatte sich Professor
Hahn aus Gießen beim Kirchenvorstand über das 6-Uhr-Geläut beschwert. Er hatte
eine Zeitlang in Wolfhagen geweilt. Und die Gießener Dozentin Brigitte Runge
versuchte es ebenfalls mit einem Schreiben an den Kirchenvorstand. Sie schrieb:
»… frage mich, welches Recht und welches Interesse eine Kirchengemeinde hat,
alle Menschen in Hörweite der Glocken einheitlich morgens um sechs Uhr zu
wecken.« Eine Kirchengemeinde sollte in der sich wandelnden Gewohnheit ihrer
Mitmenschen nicht auf dem Gewohnheitsrecht bestehen, heißt es weiterhin in ihrem
Brief.


Darüber ließe sich
reden

Im Rathaus füllte der Streit
seinerzeit einen ganzen Ordner. Bürgermeister Schröder wird zitiert: »Wir haben
auf Wunsch der Gaststätte versucht, eine Einigung zu erzielen. Unsere Bemühungen
blieben jedoch ohne Erfolg. Der Magistrat sieht keine Möglichkeit noch etwas zu
unternehmen.« Rechtsanwalt Hans Braun, Vorsitzender des Kirchenvorstandes,
kannte keine Anträge, meint aber: »Wenn ein Antrag durch den Wirt gestellt wird,
würden wir ihn behandeln. über die Angelegenheit ließe sich reden.«

Initiativ geworden war damals in
1971 auch der Verkehrsverein. Vorsitzender Sälzer setzte sich ebenfalls für eine
Einschränkung des Schlagens der Turmuhr ein: »Im Interesse des Fremdenverkehrs
unterstützen wir die Bemühungen von weiten Teilen der Gastronomie.«


Jeder hat seine eigene
Uhr

»Ich leide ehrlich gesagt mehr
unter der Hast des Straßenverkehrs als unter dem Schlagen der Turmuhr« erklärte
Dekan Otto Wassermann. Zusammen mit Bürgermeister Schröder sei bereits geprüft
worden, ob sich das Schlagen nicht einschränken ließe. Dies sei jedoch nicht
durchführbar. »Entweder muss das Schlagen ganz abgestellt werden oder es lässt
sich gar nichts ändern.« Natürlich sei das Schlagen in der heutigen Zeit nicht
mehr notwendig, da jeder seine eigene Uhr habe, meinte der Dekan.

Früher habe sich niemand über die
Turmuhr aufgeregt, sagte Kirchenvorsteher Ludwig Böttger der HNA. Seiner Ansicht
nach ist das Uhrschlagen nicht störend. »Von mir aus wird
weitergebimmelt.«

Kirchturm mit Turmuhr