Gute Musik

Dr. Ingeborg Eick-Prinz (Klavier), Maike Gränzdörffer (Cello) und Dietlind Roll
(Flöten) gestalteten die Eröffnungsveranstaltung musikalisch mi.


Alles zu Geld gemacht


Ausstellung „Legalisierter Raub“ eröffnet

Selten ist das Gemeindezentrum der Evangelischen Kirchengemeinde
Wolfhagen so gut besucht. Die Ausstellung „Legalisierter Raub“ – oder
wie Bürgermeister Schaake sie nannte: „Der große Raub“ – war ein guter
Anlass, die Räumlichkeiten wieder einmal auszunutzen. 150 Besucher aus Wolfhagen
und Umgebung waren gekommen, um sich über die Ausstellung informieren zu lassen,
die bis zum 7. April im Regionalmuseum zu sehen ist.

Dekan Dr. Gernot Gerlach konnte aus diesem Anlass nicht nur die
politischen Spitzen der Region (Regierungspräsident Dr. Walter Lübke, Landrat
Uwe Schmidt und Bürgermeister Reinhard Schaake) begrüßen, sondern auch
zahlreiche Vertreter aus Kultur und Gesellschaft, Kirchen und Verbänden. Er
umriss kurz die geschichtliche Situation, die Begründung für die Ausstellung
ist, und machte deutlich, dass die Ausstellung ein wichtiges Element beim
übergang von der Nacht zum Tag ist.


Außerschulischer Lernort

Landrat Uwe Schmidt wies in seinem kurzen und prägnanten Grußwort
darauf hin, dass Ausstellungen wie diese die Einrichtung von Regionalmuseen
begründen. Die Bewahrung und Präsentation der lokalen Geschichte sei ein
perfektes Beispiel für die Arbeit des Regionalmueums als außerschulischer
Lernort. Die Präsentation könne nachhaltige Wirkung haben. Er dankte für das
große Netzwerk an Unterstützern und Helfern.

Ein längeres Grußwort hielt Dr. Tomas Wurzel, der Geschäftsführer der
Sparkassen-Kulturstuiftung Hessen-Thüringen. Es sei Zeit gewesen, die
historischen Quellen offen zu legen. Er wies noch einmal auf die Zeit der
Distanzierung hin und hob lobend die ungeheure Breite der über viele Jahre nicht
zugänglichen Akten und deren Präsentation in der Ausstellung hin. Kritisch
setzte er sich mit den Finanzbehörden der Zeit des Nationalsoizialismus
auseinander und mahnte zur Aufmerksamkeit beim Umgang mit den alten Steuerakten.
„Wo gehen wir hin?“ war schließlich seine abschließende Frage. Dr.
Wurzel machte deutlich, dass Erkenntnisgewinnung die sicherste Basis ist, um
nachhaltig zu wirken, dass die allgemeine Geschichte sich überall widerspiegelt,
auch lokal; auch Wolfhagen sei Teil des „Reiches“ gewesen. Auf dieser
Erkenntnis basierend gelte es, nach vorn zu schauen und zu fragen: „Wo
fängt es an?“ Eine pauschale Stigmatisierung von Menschen anderen Glaubens
sei nicht hinnehmbar.


Viel Werbung machen

Bürgermeister Reinhard Schaake wies in seinem Grußwort darauf hin,
dass in Wolfhagen Ende der 1980er Jahre die Aufarbeitung der
nationalsozialistischen Geschichte begonnen habe. Seit dem Jahr 2000 werde der
9. November intensiv als Gedenktag begangen. Er schilderte den Kontakt mit den
noch lebenden ehemaligen jüdischen Mitbürgern der Stadt Wolfhagen. Der
Ausstellung wünschte er, dass sie die Menschen anspricht und Impulse gibt. Hier
erwähnte er insbesondere die Arbeit mit Schülern. Er bat die versammelten
Zuhörer, viel Werbung zu machen.

Beate Bickel, die Geschäftsführerin des Regionalmuseums, die später
auch zu der Ausstellung einlud und Ortsunkundigen den Weg beschrieb, dankte den
vielen Unterstützern der Ausstellung und bezeichnete die Ausstellung als
wichtiges Thema für Wolfhagen und die umliegenden Gemeinden.


Juden völlig isoliert

Katharina Stengel vom Fritz-Bauer-Institut führte schließlich in die
Ausstellung ein und machte zunächst deutlich, dass einem die Finanzverwaltung
nicht in den Sinn komme, wenn man an die Grausamkeiten des Nationalsozialismus
denke. Aber bei der Enteignung des jüdischen Besitzes hätten die Behörden eine
große Rolle gespielt. Diese Enteignung sei der entscheidende Einschnitt im Leben
der jüdischen Bevölkerung gewesen, auch in Wolfhagen. 1937 sei der Besitz der
jüdischen Mitbürger sichergestellt worden. Durch die Berufsverbote hätten sie
kaum noch Einkommensmöglichkeiten gehabt. Die Deportation sei oft der letzte
Ausweg gewesen. Innerhalb weniger Jahre sei diese Gruppe von Mitbürgern völlig
isoliert gewesen. Als Fazit könne man sagen: Nichtjüdische Deutsche schlossen
Juden aus dem Universum aus.

Katharina Stengel berichtete von Textilgeschäften in Zierenberg, die
extrem von der Enteignung betroffen gewesen seien und davon, dass die
Finanzbehören alles zu Geld gemacht häten, was man zu Geld habe machen können –
und das alles auf legalem Wege. Man habe schnell die nötigen Gesetze und
Verordnungen geschaffen. Die Ausstellung beschreibe eine wichtige Etappe der
Zeit. Dem Museum dankte sie für die Bereitschaft, diese Ausstellung mit in das
Programm zu nehmen. Sie rief die Besucher der Eröffnung auf, Gegenstände aus der
angesprochenen Zeit für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen.

Helge Heynold vom Hessischen Rundfunk las abschließend aus
Dokumenten, die in der Ausstellung zu sehen sind. Die bewegenden Erlebnisse aus
dem Leben der jüdischen Mitbürger trug er so glaubwürdig und identisch vor, dass
– anders als bei den Grußworte, den Vorträgen und der Musik – sich niemand
erlaubte, zu applaudieren. Und das war gut so.

EIN NACHWORT

Wie schnell das Vergessen der Geschichte auch heute wieder um sich
greift, wird daran deutlich, dass in Wolfhagen immer wieder darauf
hingewiesen wird, dass die Aufarbeitung der Geschichte des
Nationalsozialismus in Wolfhagen und im Wolfhager Land Ende der 1980er
Jahre begonnen habe. Hier irrt der Bürgermeister. Sehr öffentlich,
nämlich in vielen Gottesdiensten und gemeindlichen Veranstaltungen, hat
Dekan Reinhart Weinbrenner gleich nach seinem Dienstbeginn im Jahr 1978
sich des Themas angenommen. Freilich hat er mit der Schwierigkeit zu tun
gehabt, dass nur wenige sich den Fragen, die er aufwarf, stellen
wollten. Aber ganz unstrittig war der Beginn der Aufarbeitung der
Geschichte dieser grausamen Zeit. Man sollte diesen Dienst des
ehemaligen Dekans nicht gering schätzen. Und es ist nicht nur schade,
sondern schlicht falsch und geschichtsvergessen, dass davon heute
niemand mehr etwas wissen will.