Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern
der Lebenden; denn in ihm leben sie alle.
Lukas 20,38
Dekan Otto Wassermann (1913-2001), an dessen 100.
Geburtstag wir in diesem Jahr denken, hat nach den Abkündigungen von
Sterbefällen in der Stadtkirche immer ein Wort aus dem Römerbrief zitiert:
»Leben wir, so
leben wir dem HERRN;
sterben wir, so sterben wir dem HERRN. Darum, wir leben oder sterben, so
sind wir des HERRN.« So fasst der Apostel Paulus noch
einmal anders zusammen, was Jesus in einem theologisch anspruchsvollen Gespräch
den Sadduzäern gesagt hat in jenem Wort, das für den Passionsmonat März der
Monatsspruch ist.
Die Sadduzäer waren ganz vornehme und streng gläubige
Männer. Sie lehnten alle Lehren ab, die über das hinausgingen, was wörtlich in
den fünf Büchern Mose stand. Also auch die Auferstehung. Die aber ist
entscheidend. Auch in der Passionszeit. An diesem Monat März wird’s besonders
deutlich: 30 Tage Passion bis hin zum Karfreitag und dem ebenso düsteren
Karsonnabend. Und dann kommt die Osterfreude. Aber das dauert noch 30 Tage. Was
also tun?
Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der
Lebenden. Für ihn sind alle lebendig. Also brauchen wir die Passionsandachten
nicht? Und die Passionsgottesdienste? Und den Gründonnerstag? Und Tanzverbote am
Karfreitag?
Warum sind denn für Gott alle lebendig? Doch nur, weil
Jesus den Weg gegangen ist, den wir jetzt versuchen mitzugehen, noch 29 Tage
lang. Hinauf nach Jerusalem. Jesus antwortet theologisch. Für Otto
Normalverbraucherin ist das (leider) nicht auf Anhieb zu verstehen. Also für
uns. Jesus erzählt in dem Abschnitt, aus dem der Monatsspruch stammt, etwas von
Heiraten und Nichtheiraten, von Menschen, die Engeln gleich sind, von Mose am
Dornbusch und vom alten Vater Abraham. Und man hat das Gefühl: Alles
theologische Wissen bietet der Rabbi aus Nazareth hier auf. Das muss man
übersetzen. In unsere Zeit.
Unser Gesangbuch hat eine Fülle guter
übersetzungsbeispiele. Melchior Vulpius hat vor 450 zum Beispiel so gedichtet in
seinem Lied »Christus, der ist mein Leben«: »In dir, Herr, lass mich leben / und
bleiben allezeit, / so wirst du mir einst geben / des Himmels Wonn und Freud.«
Vielleicht kann man den schwierigen Vers nur so verstehen. Im Hinblick auf das
Ziel unseres Lebens. Im Hinblick auf die Ewigkeit.
Von daher gesehen ist jenes am Anfang zitierte
Pauluswort, das der alte Dekan immer zitierte, eine gute Zusammenfassung, eine
gute Auslegung des Jesuswortes. Wir sind im Leben und im Tod in Gottes Hand. Und
weil Jesus den Weg ans Kreuz gegangen ist, unter Schmerzen, aber ganz bewusst,
können wir uns auf diesen letzten Tag des Monats März freuen. Auf den großen Tag
der Auferstehung. Auf das Licht des Ostermorgens. Auf die Feier des Abendmahls.
Auf die Auferstehung Jesu. Jesus lebt! Und wir leben mit ihm.
| Kirchenrat Günther Dreisbach