Brigitte Engelhardt-Lenz




Die Wüste und die Einöde



wird frohlocken,



und die Steppe wird jubeln



und wird blühen wie Lilien.


Jesaja 35, 1

Alles wird anders. Alles wird neu.

Diesen Eindruck mag der Monatsspruch für den
Dezember zunächst in uns hervorrufen.

Das stelle man sich einmal vor: Die
Wüste / die Einöde / die Steppe werden “frohlocken” und
“jubeln” – also genau das tun, was üblicherweise Menschen tun. Die Steppe
wird “blühen, wie die Lilien”. Dort, wo wir uns staubige Erde und Steine
vorstellen, dort beginnt es wie in einem Garten zu grünen und zu blühen.

Mit diesen Worten beschreibt der Prophet
Jesaja die Zukunft, wie Gott sie schenken wird. “Unmöglich!”, haben
vielleicht seine Zuhörerinnen und Zuhörer gedacht, denn das eigene Leben sah
so ganz anders aus. Damals war das Volk Israel mutlos geworden, traurig,
enttäuscht, perspektivlos – ohne Hoffnung. Es durchlebte sozusagen eine
“Wüstenzeit”, Leere und Trostlosigkeit.

Ganz anders dieses hoffnungsvolle Bild des
Propheten: Die Wüste wird zu neuem Leben erwachen. Verwandlung geschieht,
wird hörbar und sichtbar.

Hoffnungsbilder, Träume, Visionen bewirken, dass
sich unser Blick wendet: weg von unserer augenblicklichen Situation hin zu dem,
was vor uns liegt. Manchmal tragen wir eine Hoffnung als ein Bild in uns.
Manchmal hören wir gespannt zu, wenn einer seine Sicht auf die Zukunft
umschreibt.

Im vergangenen Jahr haben wir uns
an die berühmt gewordene Rede von Martin Luther King am 28.
August 1963 in Washington erinnert: “ I have a dream … ich habe einen Traum,
…”, sagte er damals.


Ich habe einen Traum, dass eines Tages die
Söhne von früheren Sklaven und die Söhne von früheren Sklavenbesitzern
sich am Tisch der Bruderschaft gemeinsam niedersetzen können…. .


Ich habe einen Traum, dass meine vier
kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie
nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres
Charakters beurteilt werden.


ICH HABE EINEN TRAUM!


Ich habe einen Traum, dass eines Tages
jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt werden. Die
unebenen Plätze werden flach und die gewundenen Plätze gerade, und die
Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden … Dies ist unsere Hoffnung.
Dies ist der Glaube … Mit diesem Glauben werden wir gemeinsam arbeiten
können, gemeinsam beten können, …

Als Jugendliche hatte ich den Text dieses
Traumes als Poster in meinem Zimmer hängen. Ein Text, der mich damals sehr
bewegte und vielen von uns eine Perspektive aufzeigte im Blick auf die
(sozialen) Ungerechtigkeiten und Bedrohungen, die uns damals so sehr
irritierten und gegen die wir protestierten. Ein Text, den ich später als
Pfarrerin im Religionsunterricht mit Schülerinnen und Schülern diskutierte.
Ein Text, der bis heute Menschen unterschiedlichster Hautfarbe und
Konfession bewegt.

Worte / Bilder, die inzwischen Millionen von
Menschen auf die Straße gebracht haben, die sich selbst für Gerechtigkeit
stark machen und gleichzeitig viel von Gott erwarten.

Hoffnungsbilder, so wie der Prophet Jesaja
eines beschreibt oder der Baptistenprediger Martin Luther King

… machen Mut die Hoffnung auf
Gott zu setzen, der eine Zukunft für uns bereit hält.

… machen Mut, alles von IHM zu erwarten

… machen Mut, selbst dazu beizutragen, was
einem möglich ist, damit Veränderung geschehen kann – vielleicht heute schon
oder übermorgen.

In einem neueren Gesangbuchlied wird das
Hoffnungsbild Jesajas von der blühenden Wüste aufgenommen:

“Wo ein Mensch Vertrauen schenkt, nicht
nur an sich selber denkt,/ fällt ein Topfen von dem Regen, der aus
Wüsten Gärten macht. / Wo ein Mensch den andern sieht, nicht nur sich
und seine Welt,/ fällt ein Tropfen von dem Regen, der aus Wüsten Gärten
macht.”

Ich stelle mir vor: Eine Hand legt sich
vertrauensvoll in die andere – und zeigt damit: gemeinsam schaffen wir es.
Der liebevolle Blick des einen Menschen fällt auf einen anderen – und
signalisiert somit: Du bist mir wichtig. Einer lässt den anderen an seinem
Leben teilhaben – und sagt: Für dich gibt es einen Platz neben mir.

So kann ein Stück verheißene Zukunft heute
unter uns Wirklichkeit werden. Dies geschieht Tag für Tag, oft
unbemerkt von der öffentlichen Beachtung. … Und Gott wird einst vollenden,
was schon begonnen hat.

Liebe Schwestern und Brüder,

ein ganz besonderes Hoffnungsbild wird uns in
diesen Wochen vor Augen gestellt: Das Kind in der Krippe. Gott wird Mensch. Er
kommt zu uns – in diese Welt, in unser Leben – auch dieses Jahr wieder.

Von dem, der in unser Leben kommen will, glauben
wir: Jesus Christus gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit. Das stärkt uns
und erfüllt uns mit Hoffnung.

Die Gottesdienste der Weihnachtsfesttage, Krippendarstellungen, Lieder und musikalische
Kompositionen laden uns ein, biblische, gestaltete und klangliche
Hoffnungsbilder wieder neu wahrzunehmen und zu uns sprechen zu lassen.

Uns allen wünsche ich, dass es eine Hoffnung
gibt (vielleicht in der Form eines Bildes oder eines Traumes), die uns trägt
und ermutigt und uns zuversichtlich in das neue Jahr gehen lässt -in dem
Wissen, dass Gott eine Zukunft für uns bereithält.

Bewahre uns Gott, behüte uns Gott,

sei mit uns auf unsern Wegen,

sei Quelle und Brot in Wüstennot,

sei um uns mit deinem Segen.


Brigitte Engelhardt-Lenz ist Pfarrerin bei „Baunataler
Diakonie Kassel e. V.“. Von 2001 bis 2010 war sie Pfarrerin der 3.
Pfarrstelle Wolfhagen-Leckringhausen. Sie wohnt in Naumburg-Altenstädt.