Schöne Atmospäre


aber geringe Resonanz

»Die Nacht, in der die Mauer fiel«
war kein Thema, das großes Interesse hervorrief. Die Buchhandlung Mander hatte
den Lüneburger Schriftsteller Dr. Renatus Deckert eingeladen und erstmals die
Marienkapelle in der Stadtkirche als Veranstaltungsort ausgewählt. Und das war
eine gute Entscheidung. Der Kapellenraum hat eine ruhige Atmosphäre und ist dazu
angetan, sich zurückzulehnen und gut zuzuhören. 14 Zuhörerinnen und Zuhörer
waren da und nahmen anspruchsvolle Literatur in sich auf. Aber erfuhren auch die
schlichte Tatsache, dass die Banane krumm ist, weil sie einen Bogen um die DDR
gemacht hat.



Ungute Erinnerungen an
die Schulzeit

Dann nahm der 38 jährige
Schriftsteller, der mit einer Arbeit über das zerstörte Dresden in den Gedichten
von Volker Braun, Heinz Czechowski und Durs Grünbein promoviert wurde, seine
Zuhörer mit in die aufregende Zeit des Herbst 1989. Er selbst war damals zwölf
Jahre und berichtete eindrücklich über die erlebte Zeit. Als Pfarrerssohn habe
er nicht dem staatstragenden Milieu angehört. Immer wieder habe er ideologische
Grundsätze wiederkäuen müssen. Ungute Erinnerungen habe er an seine Schulzeit.
Der Vater habe das Wort Gottes gepredigt, der Staat den Sozialismus. Er habe in
einer unauflösbaren Schizophrenie gelebt. Aber er habe sich weiter
mit der Situation beschäftigt, die die Menschen damals umgetrieben hat.

Detailliert fein
geschildert

An zwei Beispielen aus seinem
Buch, einem Aufsatz-Sammelband, machte er dann deutlich, wie Dichter die Zeit
der Wende gesehen haben. Zunächst las er aus »Der Weg nach Bornholm«, eine
Geschichte des in Berlin lebenden Durs Grünbein. Da wurde eindrücklich der Abend
des 9. November geschildert. Der Ex-Student Rufus Rebhuhn erfährt in seiner
abgedunkelten Altbauwohnung im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg von der
Grenzöffnung und macht sich auf den Weg Richtung Westen. Detailliert fein
schildert Grünbein die Situation. Und man wird animiert, zwischen den Zeilen
weiterzulesen.


Verschlafen

Kerstin Hensel, in Karl-Marx-Stadt,
dem heutigen Chemnitz, geboren, schildert eine Geschichte, wie eine Frau sich
von Karl-Marx-Stadt nach Berlin aufmacht. Sie tritt sehr selbstbewusst auf und
landet in einer Plattenbausiedlung am äußersten Ende von Berlin-Hellersdorf. Sie
kriegt in dieser Nacht von der Grenzöffnung nichts mit. Sie verschläft sie. Und
wundert sich am anderen Morgen, dass sie im Bus der einzige Fahrgast ist. In der
Schauspielschule, wo sie als Dozentin arbeitet, wundert sie sich, dass keine
Studenten in ihre Vorlesung kommen. Man muss die Geschichte einfach lesen.
Nacherzählen kann man die nur ganz schwer.


Anschauliche
Berichte

Und dann animierte Pfarrer Hans
Jürgen Basteck, Moderator des Abends, Fragen zu stellen oder eigene Erlebnisse
beizusteuern. Davon wurde reichlich Gebrauch gemacht. Anschaulich berichteten
die Besucher, wie sie selbst jenen denkwürdigen Donnerstagabend des Jahres 1989
erlebt hatten. Man sollte die Marienkapelle als kleinen Veranstaltungsraum für
Lesungen weiter nutzen. Die Atmosphäre ist einfach nur schön. Ein kleiner
Nachteil: Der Zugang ist nicht behindertengerecht.