Einsatz für bedrängte Juden
125. Geburtstag von Hermann Witkugel
Heute vor 125 Jahren, am 20. September 1891, wurde in Kassel Hermann
Witkugel geboren. Von 1946 bis zu seinem Tode im Jahr 1978 lebte er in
Wolfhagen. Als Mitglied des Kirchenvorstandes, als Kirchenältester und als
Leiter des Kindergottesdienstes hat er das Leben der Kirchengemeinde in den
Nachkriegsjahren wesentlich geprägt.
Zur Kirche und zum CVJM gehalten
Witkugel war 1946 auf der Flucht von Schneidemühl im Deutschen Osten
in Wolfhagen gelandet. Vor dem Krieg war er Leiter der Kreisverwaltung in
Ziegenhain. Aber man konnte im »dritten Reich« keinen gebrauchen, der sich so
wie Hermann Witkugel zu seiner Kirche und zu seinem CVJM hielt. »Der Herr
Reichsminister des Inneren hat Sie … mit Wirkung vom 15. Januar 1939 ab an das
Landratsamt in Schlochau (Regierungsbezirk Schneidemühl) versetzt.« Das war der
nüchterne Marschbefehl, der dazu führte, dass der beliebte Beamte seine
Ziegenhainer Heimat verlassen musste.
Versetzung aus Gewissensgründen
Wegen seiner Liebe zur Kirche und zu seinem Glauben, wegen seiner
Liebe zu Christus als seinem Herrn wurde ihm in der Schwalm das Leben schwer
gemacht. Wegen seiner religiösen Einstellung und seiner Tätigkeit in der Kirche
und im CVJM, wegen seines Einsatzes für die bedrängten Juden in der Schwalm
wurde er in die Grenzmark strafversetzt. Witkugel hätte diese Versetzung
verhindern können, wenn er einem Rat gefolgt wäre, seine kirchliche Tätigkeit
einzustellen. Er hat es jedoch, wie er später auch der Spruchkammer in Treysa
mitgeteilt hat, vorgezogen, aus Gewissensgründen eine Strafversetzung auf sich
zu nehmen.
Kindergottesdienst geprägt
1946 kam er nach Wolfhagen und wurde nach kurzer Zeit Leiter der
staatlichen Abteilung des Wolfhager Landratsamtes. Seine Liebe zu Ziegenhain hat
er nie abstreifen können. Er war Ehrenmitglied des Schwälmer Heimatbundes und
Mitbegründer des Museums der Schwalm. Auch in Wolfhagen gehörte er zu den
beliebten Mitbürgern. Er hat sich 1946 sofort wieder in der Kirchengemeinde
engagiert. Leidenschaftlich hat er den Kindergottesdienst in den 1950er und
1960er Jahren geleitet und im Kirchenvorstand wesentliche Impulse für das
geistliche Leben gegeben. Als Kirchenältester und Christ mit einer hohen
Bibelkenntnis war er für die Pfarrer der Kirchengemeinde ein hervorragender
Ratgeber. Aufgrund seiner engagierten Mitarbeit im CVJM wurde er in Wolfhagen
zum Ehrenvorsitzenden des Verein berufen.
»Jetzt wird’s erst schön«
Hermann Witkugel war ein Mann, der viel gefragt hat und der viel
gebetet hat. Seine Bibel ist ein Arbeitsbuch gewesen. Das hat auch Dekan Otto
Wassermann bei der Trauerfeier im September 1978 gewürdigt und seine
hervorragende Bibelkenntnis hervorgehoben. Witkugel war im Alter von 86 Jahren
im Altersheim gestorben. Tief gläubig hat er sich gefragt, warum er in der Zeit
des »dritten Reiches« nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht
fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt hat. Am Abend vor seinem Tod,
als er schon spürte, dass sein Leben zu Ende geht, hat er klar und bewusst einem
Besucher gesagt: »Es dauert nicht mehr lange, aber jetzt wird’s erst schön!«
In diesem Glauben ist Hermann Witkugel gestorben.
Ehrung in Ziegenhain
Am 8. November 1988 ist Hermann Witkugel von der Kirchengemeinde in
Ziegenhain geehrt worden. Am Gemeindehaus ist eine Gedenkplatte angebracht
worden. »Hermann Witkugel hat den örtlichen CVJM mitbegründet und den
Posaunenchor wesentlich gefördert. Im Kirchenvorstand und im Kirchenkreistag
arbeitete er mit. Durch sein Bekenntnis zu Jesus Christus und selbstloses
Handeln prägte er viele Menschen für ihr ganzes Leben. Aus christlicher
Verantwortung trat er mutig für bedrängte Juden ein. Deshalb wurde er 1939 in
den deutschen Osten strafversetzt.« So bleibt dieser mutige Christ des »dritten
Reiches« in Ziegenhain in würdiger Erinnerung.