Durch eine andere Macht besetzt
Schuberts überraschende Thesen
Dass
zwischen den urkundlichen überlieferungen und dem historischen Kenntnisstand
sowie den archäologischen Funden und Befunden der beiden Grabungskampagnen
eine nicht unerhebliche Differenz besteht, machte Kirchenvorsteher
Karl-Heinz Schubert deutlich.
Die
Renovierungs- und Umbauarbeiten der Jahre 1860 und 1958/59 hätten keinerlei
überlieferungen in den Unterlagen hinterlassen, die vorab über die eventuell
zu erwartenden Funde hätten hinweisen können. Der Kirchenvorstand habe mit
keinen besonderen Funden gerechnet.
Deutlich ältere Kirche
Vor allem
der Fund der Taufe sei eine echte überraschung gewesen, meinte Schubert. Das
Auffinden der Taufe sprenge den bisher bekannten Zeitrahmen der
Kirchengeschichte. Nach Abschluss der ersten Phase der archäologischen und
baugeschichtlichen Forschung sei festzuhalten, dass die Fundamente eines
älteren Chores von vor 1200 vorhanden sind, dass die vorhandene Nordwand des
Chores in Stil, Bauzeit, Bauausführung und Baumaterial nicht mit dem
vorhandenen Kirchenschiff und Turm übereinstimmen und dass ein bauzeitlicher
Zusammenhang zwischen der Nordwand des Chores und den Fundamenten eines
älteren Chores noch ungeklärt sind. Die ergrabenen Reste einer Taufanlage
gehörten zu einer nicht mehr vorhandenen, deutlich älteren Kirche.
Entlegenes kleines Hügelchen
Schubert kam
dann auf die Urkunde von 1235 zu sprechen und zeigte verschiedene denkbare
Alternativen auf. Er bezeichnete es als problematisch, eine frühe Taufkirche
sinnvoll in das Umfeld Wolfhagens einzuordnen. Durch die Weiheurkunde von
1235 wisse man, dass die Stadtkirche eine Filialkirche der Erzpriesterkirche
auf dem Schützeberg gewesen sei. Viele würden diese Kirche auch als älteste
Taufkirche der Gegend ansehen und sie auf Bonifatius zurückführen. Die
Erzpriesterkirche habe dem Stift Fritzlar unterstanden und sei 1074 zum
ersten Mal urkundlich erwähnt worden. Diese Urkunde der Vergabe der Kirche
an das Kloster Hasungen durch Bischof Siegfried gelte heute als gefälscht.
Nach weiteren Ausführungen kam Schubert zu der Erkenntnis, dass der
Wolfhager Kirchplatz durch eine andere Macht besetzt gewesen sei. Darum habe
Mainz auf einem entlegenen kleinen Hügelchen eine neue Kirche gebaut. Warum?
Ganz in der Nähe habe eine wichtige, traditionsreiche Taufkirche gestanden
oder – falls diese nicht mehr vorhanden war – habe ein attraktiver Bauplatz
zur Verfügung gestanden. Schubert resümierte: Der Wolfhager Kirchplatz war
durch eine andere Macht besetzt.
Von
Mainz verdrängt
Dann kam er
auf den Priester Heimerad zu sprechen und vertrat im Anschluss die These,
dass es im ausgehenden 11. und im 12. Jahrhundert zu einem verstärkten
machtpolitischen Auftreten des Erzbistums Mainz in Nordhessen gekommen sei.
Von dieser Zeit ab habe Mainz die Diözese Paderborn aus Teilen des
ehemaligen Missionsgebietes verdrängt. Wenn diese Theorie stimme, wären die
in Wolfhagen gegrabenen Wolfhager Kirchen in der Diözese Paderborn erbaut
worden. Hätten sie im Machtbereich des Erzbistums Mainz gestanden, wäre der
Bau einer Erzpriesterkirche in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts auf dem
Schützeberg nicht nötig gewesen.
Auch an den
Vortrag von Karl-Heinz Schubert schloss sich eine von Rudolf Möse, dem
Vorsitzender Kreissynode Wolfhagen, geleitete Diskussion
an. Möse, der in dem Zusammenhang den Umgang der Wolfhager Kirchengemeinde
mit den Grabungen als sensibel bezeichnete, lobte die vorsichtige
Argumentation Schuberts.
Eine Fotostrecke der Veranstaltung können Sie hier sehen.