Viel zu heiß kochen
Begegnung
von Mensch zu Mensch
in Heldrungen
Wir setzen unsere Serie fort mit TOBIAS GRUBER. Er ist seit Frühjahr
Pfarrer der Kirchengemeinde Heldrungen an der Unstrut, der Partnergemeinde der
Kirchengemeinde Wolfhagen.
Noch leben Sie nicht in Heldrungen. Das Pfarrhaus ist noch eine
Baustelle. Aber die »Baustelle Gemeinde Heldrungen« bearbeiten Sie
schon. Wie sind Ihre ersten Erfahrungen?
Meine ersten Erfahrungen sind einfach großartig! Ich wurde in allen
Gemeinden sehr herzlich aufgenommen und erlebe das vielfältige
Engagement mit staunen. Es sind die kleinen Dinge und Geschichten, die
mich immer wieder sehr bewegen und für die ich dankbar bin, dass die
Menschen mir damit auch ihr Vertrauen aussprechen. Mein Kopf schwirrt
aber auch seit einigen Monaten, denn die vielen neuen Gesichter und
Namen müssen erst einmal gelernt werden. Dazu kommt, dass eben für einen
Entsendungsdienstler vieles ganz neu ist. Ich arbeite mich ein – und
mein Auto arbeitet sich ab, wenn es die Wege zwischen Oberbösa,
Bilzingsleben, Heldrungen, Harras, Oberheldrungen, Hauteroda und eben
Eisleben hinter sich bringt. Aber mittlerweile kennen viele meinen
grünen Golf und grüßen herzlich. Ein toller Beruf! Eine “Baustelle” ist
die Gemeinde in diesem Sinne nicht. Gemeindeleben ist nun einmal
ständigem Wandel unterworfen.
Sie sind Pfarrer in einer Region, in der es nicht mehr
selbstverständlich ist, zur Kirche zu gehören. Erleben Sie das als eine
besondere missionarische Herausforderung?
Ich stehe dem Begriff der Mission, aufgrund meiner Herkunft
und theologischen Ausbildung, eher skeptisch gegenüber. Mission im
klassischen Sinne, also (ich übertreibe) mit der Bibel vor der Haustür
zu stehen und zum Glaubenskurs einzuladen, halte ich für nicht
ertragreich. Im Gegenteil ermöglicht die konfessionslose Landschaft
einen hilfreichen Blick auf Kirche und Gemeinde. Es ist, meines
Erachtens, an der Zeit, dass wir die Anfragen von außen an unsere
Liturgie, unsere Exklusivität und oftmals auch unsere Engstirnigkeit
sehr ernst nehmen. Ich habe die Erfahrungen gemacht, dass Menschen, die
keinen Kontakt zur Kirche und zum Glauben haben, sehr wohltuende Fragen
stellen, nach Dingen, die uns schon lang nicht mehr auffallen. Darüber
hinaus heißt Konfessionslosigkeit noch lange nicht Religionslosigkeit.
Ich mache die Erfahrung, dass ganz viele Menschen einen
Glauben leben, der nicht sehr fern von der Verkündigung Jesu ist. Aber
sie fühlen sich nicht in der Verkündigung der Kirche aufgehoben und
ernst genommen. Im Grunde denke ich, dass wir vieles in der Kirche viel
zu heiß kochen und mit niedrigerer Flamme vielleicht mehr Herzen
erwärmen können. “Brannte nicht unser Herz”, sagen die Emmausjünger –
und das sagen sie nicht nach einem Glaubenskurs, sondern nach einem
schlichten gemeinsamen Mahl. Es kommt also auf die Begegnung von Mensch
zu Mensch an, damit die Begegnung von Mensch zu Gott erfahrbar
wird.
Die Sankt-Wigberti-Kirche in Heldrungen.
Ihre ersten Monate in Heldrungen waren davon geprägt, die Menschen
kennen zu lernen. Was sind Ihre ersten Erfahrungen?
Ich versuche sehr, mich von Verwaltungsarbeiten abzugrenzen (was mir
nur schwer bis gar nicht gelingt) und Zeit für Besuche zu schaffen. Was
ich da bisher alles erlebt habe, berührt mich sehr. Es sind viele
Geschichten, teils traurig, teils sehr lustig, die mich unheimlich
bereichern. Ein offenes Ohr zur richtigen Zeit – und sei es auch gerade,
wenn man die Einfahrt fegt – ist unheimlich wichtig. Als Pfarrer kommt
man auch schnell in einer politischen Gemeinde an. Meist kennen einen
die meisten Menschen eher, als man sie selbst. Das ist schön und ich
fühle mich auch sehr an mein Heimatdorf erinnert, wo jeder eben jeden
kannte. Und wenn man einen nicht kennt, dann versucht man ihn
kennenzulernen. Ich habe mir vor Stellenantritt viele Gedanken gemacht,
ob ich denn wohl allen Erwartungen gerecht werden würde. Mittlerweile
weiß ich, dass natürlich auch hohe Erwartungen da sind, aber sie mir
keinesfalls vorgehalten werden, sondern die Menschen in ihrem Pfarrer
jemanden suchen, der mit ihnen gemeinsam diese Dinge angeht. Und ich
arbeite für mein Leben gern mit anderen zusammen, als allein.
Sie haben die Jahre vor 1989 aus biographischen Gründen nicht bewusst
erlebt, Sie sind »Jahrgang 1983«. Ist die DDR-Zeit in der Gemeindearbeit
noch präsent? Und: Wird es weiterhin Kontakte mit Wolfhagen
geben?
Vierzig Jahre Diktatur verschwinden nicht so schnell aus den Köpfen
und Herzen der Menschen. Die DDR lebt immer noch weiter und es wäre
vermessen, dass zu bestreiten. Aber sie lebt zum großen Teil auch in der
Verbitterung weiter, dass Menschen auf ihr Leben zurückblicken und
sagen, dass sie wütend und traurig sind, über das, was ihnen zuteil
geworden ist. Die Aufgabe besteht hier nicht in Verdrängung und auch
nicht in permanenter Konfrontation. Die Kirche hat die Aufgabe, dass
Menschen ihre Lebenserfahrungen in ihr Leben integrieren, es annehmen
und mit Gott teilen können. Das gilt sowohl für “drüben” wie auch für
“hüben”. Als 83’er Jahrgang besteht für mich nicht die Gefahr der
Glorifizierung der Vergangenheit. Und trotzdem glaube ich, dass in dem
Satz “Es war nicht alles schlecht gewesen”, auch eine Wahrheit steckt,
die nach Zusammenhalt und Gemeinschaft ruft, die (notwendigerweise)
stärker zu DDR-Zeiten zu spüren war.
Der Kontakt mit Wolfhagen ist an vielen Stellen noch zu spüren. Die
Flamme ist noch nicht erloschen. Und ich halte eine
Gemeindepartnerschaft für sehr wichtig, denn sie zeigt uns, dass die
Gemeinde Christi eben nicht am Dorf- oder Stadtrand aufhört. Und das
keine Grenze Christen trennen kann. Ich laufe übrigens jeden Tag noch an einer Skizze der Kirche in
Wolfhagen vorbei, da dieses Bild immer noch im Flur im Pfarrhaus hängt
und dort, weil es mir wichtig ist, auch hängen bleiben soll. Ich hoffe,
dass wir den Austausch wieder ankurbeln können, vielleicht auch einmal
auf Ebene der Kirchenvorstände. Wir haben viel voneinander zu lernen.
Ich freue mich auf sie.
Herr Pfarrer Gruber, wir danken Ihnen für das
Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin eine schöne Sommerzeit.
Das Interview mit Tobias Gruber hat Günther
Dreisbach für die Homepage-Redaktion geführt. Die nächste
Interviewpartnerin ist Pfarrerin Birgit Basteck aus Wolfhagen.