Lutz Kann (90) bei seiner Ansprache an die Wolfhager Bürgerinnen und
Bürger am Platz der ehemaligen Synagoge.
Gebetet, geklagt, gefragt
Gedenken an den November 1938
In Wolfhagen hat die Erinnerung an die Reichspogromnacht des Jahres
1938 eine lange Tradition. Seit Ende der 1980er Jahre gut organisiert durch
einen Arbeitskreis hat bereits sehr frühzeitig Dekan Reinhart Weinbrenner in
seiner Amtszeit von 1978 bis 1990 in vielen Gottesdiensten und Veranstaltungen,
in Berichten vor der Kreissynode und in Verlautbarungen darauf hingewiesen, wie
wichtig es ist, sich bewusst zu machen, welches Unrecht an jüdischen
Mitbürgerinnen und Mitbürgern während der Nazidiktatur auch in Wolfhagen
geschehen ist.
Da ist es nur gut und richtig, wenn die Kirchen auch beim Gedenken 74
Jahre danach wieder beteiligt sind an den Feierlichkeiten. Nach einer
Eröffnungsveranstaltung mit Schülerinnen und Schülern der
Wilhelm-Filchner-Schule in der Kulturhalle begab sich ein Gedenkzug zur
Mittelstraße, zum Platz der ehemaligen Synagoge. Hier hielt Dekan Dr. Gernot
Gerlach eine bewegende Ansprache und erinnerte an das große Unrecht.
Liebgewordene Wohnung zerstört
Wörtlich sagte er: „Voller Gewalt und Hass haben
Nationalsozialisten und alle, die sie unterstützt haben, alles dafür getan, dass
dieser wichtige Ort, die lebensbedeutsame, liebgewordene, friedvolle Wohnung
zerstört worden ist. Nicht nur dies, sondern nach der Zerstörung und der
Brandschändung der Synagoge wurden Wohnungen unserer Bürger zerstört, die hier
in diesem Gotteshaus zu Hause waren, gebetet, geklagt, gefragt, diskutiert,
gestritten und sich versöhnt, gefeiert, auf Gotes Wort gehört haben.“
(Lesen Sie die Ansprache hier.)
Kaddisch vor der ehemaligen Synagoge
Lutz Kann, in Wolfhagen geborener und aufgewachsener jüdischer
Mitbürger, der heute in Berlin lebt, richtete ebenfalls das Wort an die Bürger
und mahnte zur Achtsamkeit. Bewegend war, wie er das Kaddisch, das jüdische Totengebet, vortrug, das anschließend Martina
Bohl vom Pfarrgemeinderat der katholischen Kirche St. Maria ins Deutsche
übersetzte. Der Posaunenchor der Evangelischen Kirchengemeinde unter der Leitung
von Bernd Geiersbach gestalte die Veranstaltung hier und an den beiden anderen
Gedenkorten mit.
Gedenktafel
Am Haus Mittelstraße 6, dem Geburtshaus von Lutz Kann, wurde
anschließend eine Gedenktafel angebracht. Hier erinnerte Peter Soltau an den
Lebensweg des ehemaligen jüdischen Mitbürgers. Am Platz der Freiheit endete der
Gang durch die Stadt mit einem Vortrag des ehemaligen Wolfhager
Stadtverordnetenvorstehers Dr. Georg Maraun (Leckringhausen).
Ehemalige Synagoge in der Mittelstraße – außen
Ehemalige Synagoge in der Mittelstraße – innen
Gedenktafel am Platz der ehemaligen Synagoge
Seit vielen Jahren ist der Posaunenchor der Evangelischen
Kirchengemeinde bei der Gedenkveranstaltung dabei und wartet immer wieder neu
geduldig eine halbe Stunde auf den für 19.00 Uhr angekündigten Gedenkzug, der
aber doch immer wieder erst um 19:30 Uhr eintrifft.
ökumenisch wird die Gedenkfeier mitverantwortet. In diesem Jahr war
die katholische Kirche vertreten durch Martina Bohl vom Pfarrgemeinderat, die
evangelische Kirche durch Dekan Dr. Gernot Gerlach. Am Platz der ehemaligen
Synagoge war die Kirche gefragt. Hier hält gerade Dekan Dr. Gerlach seine
Ansprache. Links im Bild Martina Bohl, rechts neben dem Dekan Lutz Kann,
ehemaliger jüdischer Mitbürger.
Am Haus Mittelstraße 6 richtet Lutz Kann nach der Enthüllung der
Gedenktafel noch einmal das Wort an die Wolfhagerinnen und Wolfhager.
Am Platz der Freiheit beschließt der Posaunenchor die Veranstaltung
mit dem Paul-Gerhardt-Choral „Befiehl du deine Wege“.