Dekan i. R. Reinhart Weinbrenner



Ehre Gott mit deinen Opfern


gern und reichlich,




und gib deine Erstlingsgaben,


ohne zu geizen.


Sirach 35,10

Mit dem Stichwort Opfer berühren wir für uns unangenehme
Verhaltensweisen. In biblischer Zeit waren Opfer im Leben und Glauben
allgegenwärtig. Wir kennen das so nicht mehr. Wir leben nicht mehr in einer
Gesellschaft, in der die Priester am Altar Opfer bringen. Für uns ist das
überholt. Ist das wirklich so?

Opfer kommen in unserer Umgangssprache im übertragenen Sinne immer
wieder vor. Wir reden von Verkehrsopfern, von Gewaltopfern, von Katastrophen-
und Kriegsopfern. Wir sind bereit, Opfer in Kauf zu nehmen, etwa um das
technologischen Fortschritts, des wirtschaftlichen Gewinns, der
politischen Macht oder um des lieben Friedens willen. Jemand opfert sic h für
seinen Beruf oder die Familie. Wir erleben tagtäglich Opferverhältnisse. Zum
Leben gehört das Opfer. Das war so und wird so bleiben. Opfer werden gemacht und
gebracht.


Was haben Opfer mit dem Glauben zu tun?

Opfer ist Ausdruck der Lebensmacht: Ich kann etwas geben, ja sogar
mich selbst geben, also bin ich etwas für mich und andere. Opfer haben
andererseits zerstörerische Gewalt: Sie gefährden das Leben, ja sie nehmen sogar
das Leben. Was haben diese Opfergefährdungen mit unserem Glauben an Gott zu
tun?

Auch in der Bibel sind die Opfer ein sehr vielschichtiges und
vieldeutiges und deshalb auch sehr missverständliches Phänomen. Vom biblischen
Gott jedoch gilt: Er braucht kein Opfer. Der souveräne, sich in seiner Liebe zu
den Menschen verschenkende Gott bedarf des Opfers nicht. Welchen Sinn haben dann
die häufigen Aufforderungen in der Bibel sowohl im Alten Testament
als auch im neuen Testament zum Opfer?


Jesus richtete die Menschen auf

Zentrum unseres christlichen Glaubens ist die Person Jesu Christi.
Ziel des Lebens Jesu war die Erfüllung des Willens Gottes. Jesus hat Gottes
unbedingte Liebe zu uns Menschen gelebt – bis zur Fähigkeit, seine Feinde zu
lieben. Sein Opfer beginnt mit seiner Geburt – die Eltern müssen mit ihm nach
ägypten fliehen – und vollendet sich in Kreuz und Auferstehung. Jesus richtete
die Menschen auf, indem er sie in die unmittelbare Nähe Gottes rief, indem er
sie so heil und gesund machte. Er verkündigte den Gott, der Anteil nimmt an der
Gebrochenheit der menschlichen Existenz. Jesus gab sich mit seiner ganzen Person
in diesen Prozess. Ds kostete ihn schließlich das Leben. Sein Tod war die
Konsequenz seines Lebens. Mit der Auferstehung vom Tod sagte Gott ja zum
Lebenseinsatz Jesu und lädt uns ein, diesem Opfer Jesu zu folgen.

Unser Opfer ist der Versuch, dem Opfer Gottes im Leben Jesu zu
folgen. “Ehre Gott mit deinen Opfern gern und reichlich” heißt es bei Jesus
Sirach. Das kann für uns nichts anderes heißen, als mit unserem Leben dem Willen
Gottes zu folgen und uns damit gerade den zahllosen Opferforderungen unserer
Welt mit ihren Eigengesetzlichkeiten und Zwängen nicht anzupassen und ihnen
Folge zu leisten.


Welches Opfer ist lebensfördernd?

Gottes Wille ist ein Kontrastprogramm zum Kult des Erfolgs, des
Konsums und der Macht des Geldes. Es ist ein Gegenentwurf zur Machtwelt,
jeglicher Groß- und Allmachtsphantasien, ein Gegenentwurf zur Spaßgesellschaft,
wo Unlustvermeidung und Opfervermeidung höchstes Ziel ist. Die Parole dieser
“Glücks”-Welt heißt: Abstand halten. Nachfolge Jesu heißt: Hinsehen, hingehen
und aufrichten. Es gilt zu prüfen, welches Opfer lebensfördernd sein kann und
welches nicht. Wir sind darauf angewiesen, dass wir – ungezwungen, aus freiem
eigenem Entschluss und im Wissen darum, dass wir unser Leben Gott verdanken –
füreinander einstehen. Liebende stehen füreinander ein, sind bereit für den
anderen Opfer zu bringen und das reichlich und nicht geizig.

Sinnvolles Leben ist auf Dauer ohne selbstlosen Einsatz für den
Anderen nicht möglich. die Bibel nennt diesen Lebenseinsatz ein Gott
dargebrachtes Dankopfer. “Wer Dank opfert, der preist Gott” (Ps 50.23). Als
Dank haben Opfer Sinn und Berechtigung. Mit der Erstlingsgabe,
von der unser Monatsspruch spricht, wird Gott, der der Geber jeder Ernte ist,
auch als der Eigentümer seiner Gaben und letztlich auch unseres Lebens
anerkannt. Und damit wird neben der Dankbarkeit auch dem Vertrauen auf die
weitere göttliche Fürsorge Ausdruck gegeben. So stellt uns der Ruf zum Opfer in
der Nachfolge Jesu unsere Füße auf weiten Raum und wir können die Fülle des
Lebens in uns und um uns neu entdecken. Opfer öffnen uns für Gott und
füreinander. Sie bleiben lebenswichtig.



Lass mich, o Herr, in allen Dingen auf deinen Willen sehn und
dir mich weihn; Gib selbst das Wollen und Vollbringen und lass mein Herz
dir ganz geheiligt sein. Nimm meinen Leib und Geist zum Opfer hin; dein,
Herr, ist alles, was ich hab und bin.



Gib meinem Glauben Mut und Stärke und lass ihn in der Liebe
tätig sein, dass man an seinen Früchten merke, er sei kein eitler Traum
und falscher Schein. Er stärke mich in meiner Pilgerschaft und gebe mir
zum Kampf und Siege Kraft.

Reinhart Weinbrenner (*1934) war von 1978 bis 1990 Dekan des Kirchenkreises
Wolfhagen und Pfarrer der 1. Pfarrstelle Wolfhagen. Von 1990 bis zu seinem
Eintritt in den Ruhestand war er Pfarrer in Waldeck-Höringhausen. Dekan i. R.
Weinbrenner wohnt in Kassel-Harleshausen.